Karl arbeitet mit seinen 59 Jahren als Altenpfleger. Er ist übergewichtig, nimmt Medikamente wegen hohen Blutdrucks, hat Diabetes, nimmt Antidepressiva sowie Statine wegen zu hohen Cholesterins, hat seit zehn Jahren Rheuma und beim letzten Klinikaufenthalt in einer Schmerzklinik wurde Fibromyalgie bei ihm diagnostiziert. Er war seit sechs Monaten krankgeschrieben, weil seine „Knochenschmerzen“, wie er sie bezeichnet, unerträglich und dauerhaft wurden.
Nach einer gründlichen Anamnese und meinen tiefergehenden Fragen, die er dank seiner medizinischen Vorkenntnisse detailliert und präzise beantworten konnte, fragte ich ihn, ob er seinen Vitamin-D-Spiegel kenne. Er verneinte, das sei doch etwas für kleine Kinder und Schwangere, und außerdem gehe er oft in die Sonne. Ich klärte ihn auf, dass der Körper zur Vitamin-D-Bildung Sonnenlicht zu bestimmten Tageszeiten braucht. Und ab dem fünfzigsten Lebensjahr wird es zunehmend schwieriger (bis unmöglich) für den Organismus, Vitamin D allein durch das Sonnenlicht herzustellen. Bei Karl kam hinzu, dass er durch die verschiedenen Medikamente ein zusätzliches Risiko eines Vitamin-D-Mangels hatte. Nach neuesten Untersuchungen hat jeder zweite Deutsche einen zu niedrigen Vitamin-D- Spiegel. Wie für viele war das auch für ihn eine ganz neue Erkenntnis.
Drei Wochen später teilte er mir telefonisch mit, dass sein Vitamin-D-Spiegel bei viel zu niedrigen 12.7 lag. Sein Hausarzt verschrieb ihm die Höchstdosis von 20.000 i.E. täglich über vier Wochen
und danach eine Erhaltungsdosis von 5.000 i.E. Eine Untersuchung nach weiteren sechs Wochen ergab eine minimale Verbesserung. Hier wird wieder einmal deutlich, dass selbst bei einer hohen Dosis an Vitamin D die Verstoffwechselung bei jedem Menschen anders abläuft.
Da in unseren Sitzungen immer wieder in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen die Worte „es fehlt etwas“ auftauchten, schlug ich eine Aufstellung der Herkunftsfamilie zur Unterstützung vor. Schon beim Fragen im Vorfeld stellte sich heraus, dass Karl eigentlich ein Zwilling war. Sein Bruder verstarb während oder kurz vor der Geburt. Seine Mutter hatte ihm das lange verschwiegen. Bei Zwillingen ist die geschwisterliche Bindung besonders eng. Verstirbt einer während der Geburt, so ist das für den Überlebenden oft besonders traumatisch. In der Aufstellung wurde diese große Dramatik sehr deutlich. Karl hatte zudem das Gefühl, am Tode seines Zwillingsbruders mit Schuld zu sein bzw. ein schlechtes Gewissen, dass er lebte, aber seinem Bruder das Leben verwehrt wurde. Auch wenn er von seinem Zwillingsbruder erst als Erwachsener erfahren hatte, war das Gefühl, dass „etwas fehlt“, ganz deutlich in seinem Leben für ihn zu spüren. Der Verlust des Bruders war ein großer Schmerz für Karl, der sich unbewusst in seinem Körper als chronischer Schmerz und durch Mangelerscheinungen manifestierte.
Der Gedanke, dass er leben darf und nicht die Schuld am Tod des Zwillings trägt, war zunächst sehr ungewohnt für Karl. Er erfuhr, dass sein toter Zwilling keinen Namen erhalten hatte und wie so viele Sternenkinder (Kinder, die tot auf die Welt kommen) kein eigenes Grab hatte. Er gab daraufhin seinem Bruder den Namen „Aron“ und richtete einen Platz auf einem Waldfriedhof für ihn ein, an dem er ihn besuchen und um ihn trauern konnte. Solche Rituale sind sehr hilfreich und heilsam für eine traumatisierte Seele. Sie entlasten, und mit dieser Entlastung geht oft eine Schmerzreduzierung einher. So erging es auch Karl.
In fünf weiteren Sitzungen stellten wir gemeinsam einen Plan auf, wie er mit Bewegung und Entlastung weitere Lebensqualität hinzugewinnen konnte. Seine Schmerzen sind nach mehreren Monaten erträglich geworden und er arbeitete jetzt halbtags, denn sein Beruf bereitete ihm viel Freude und er wollte ihn nicht aufgeben. Nach einem Jahr schließlich lag sein Vitamin-D-Spiegel bei 40.